Wiener Kaffeehäuser im tschechischen Prag

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Orte, an denen über zerbrechlichen Tassen Gesellschaftsgeschichte geschrieben wurde.

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Die Wiener Kaffeehauskultur wurde als ein so bedeutendes Phänomen anerkannt, dass sie 2011 in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde. Marmortische, Thonet-Stühle, diskrete Abteile oder Zeitungen in Bugholzhaltern sind jedoch auch typisch für die Prager Kaffeehauskultur. Schließlich waren die böhmischen Länder dreihundert Jahre lang Teil der Habsburger Monarchie und sowohl die österreichische als auch die böhmische Kultur haben sich lange gegenseitig beeinflusst. Ob Sie nun das lebhafte Café-Geplauder mögen oder lieber gemütlich bei einer Tasse Kaffee und mit einem Buch in der Hand sitzen, in Prag werden Sie fündig.

Prag ist eine Metropole mit einer hoch entwickelten Café-Kultur. Sie finden hier Lokale, die die Kaffeezubereitung zu einer eigenen Kunstform erhoben haben, kleine Cafés mit Holzstühlen auf dem Bürgersteig, nüchterne Cafés in den Passagen, in denen die Prager auf dem Heimweg von der Arbeit einkehren, Fair-trade-Cafés sowie Hipster- und Bohéme-Cafés. Kurzum, alles, was zur zeitgenössischen Café-Kultur in Europa gehört.

Darüber hinaus hat sich Prag auch jene Kaffeehäuser im Wiener Stil bewahrt, in denen Sie von Kellnern im Anzug mit der linken Hand auf dem Rücken bedient werden, Zeitungen in fünf Sprachen in Ratan-Zeitungshaltern ausliegen und die Desserts von einem Konditor zubereitet werden, der drei Medaillen bei internationalen Wettbewerben gewonnen hat. Die Achse dieser Welt des erlesenen Geschmacks und der unaufdringlichen höchsten Vollkommenheit in Prag ist vor allem die Nationalallee (Národní třída) – hier konzentrieren sich die renommiertesten Prager Kaffeehauser im Wiener Stil. Das wohl berühmteste war das Café im ersten Stock des heute nicht mehr existierenden Brauner-Hauses an der Ecke der Straßen Národní und Na Perštýně.

Urkundlich erwähnt ist es schon 1820, als es mit seinem Namen – Wiener Kaffeehaus – direkt Bezug auf die österreichische Tradition nahm. Später wurde es in Union umbenannt und unter diesem Namen ging es auch in die tschechische Kulturgeschichte ein. Eine Anzeige aus dem Jahr 1892 zeugt von seinem Platz im Prager Gesellschaftsleben:

 

Café Union. Begegnungsort des vornehmsten Publikums, Treffpunkt aller Fremden. Sehr gepflegt eingerichtete Lesesäle mit Zeitschriften in allen Sprachen. Salon für Billard, Spielzimmer komplett abgetrennt. Täglich von 6 Uhr bis 2 Uhr nachts geöffnet.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gab es niemanden, der im gesellschaftlichen Leben Prags etwas bedeutete und den man abends nicht im Union antreffen konnte.

Anfang der 1940er Jahre verblasste der Ruhm des Kaffeehauses Union jedoch endgültig. Heute erinnern an seine glorreichen Zeiten einige großformatige Fotografien, die im Neorenaissance-Haus auf der gegenüberliegenden Seite der Nationalallee zu bewundern sind, in dem sich seit 1902 das Café Louvre befindet. Auch dieses Café war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eines der Zentren der Prager Kaffeehauskultur. Es hatte mehrere Etagen, zwei Billardsäle mit elf Tischen, Spielzimmer, Klubräume, einen Schreibraum und eine Telefonzelle. Ein Salonorchester spielte für die Gäste, und es gab ein Kino, eine Nachtbar und einen Weinkeller. Zu Gast waren hier Jan Zrzavý, Franz Werfel, Franz Kafka oder Albert Einstein. Heutzutage würde man einen solchen Ort wahrscheinlich als „Creative Hub“ oder „Kulturzentrum“ bezeichnen.

Nach dem kommunistischen Umsturz in der Tschechoslowakei im Jahr 1948 wurde das Kaffeehaus geschlossen, doch kurz nach der Samtenen Revolution begann die Renovierung seiner Räumlichkeiten und das legendäre Kaffeehaus wurde wiedereröffnet. Es befindet sich heute im ersten Stock und verfügt neben dem regulären Cafébetrieb über einen Billardsaal. Wenn Sie in Prag die wahre Raffinesse der Zwischenkriegszeit erleben wollen, sollten Sie sich einen Besuch im Café Louvre nicht entgehen lassen. Im Angebot fehlen weder die Sachertorte noch der typische Wiener Apfelstrudel und auf der Kaffeekarte steht außer dem erwarteten „Wiener“ auch der „Marie-Therese“-Kaffee.

In derselben Straße, nur etwa zweihundert Meter in Richtung Moldau, befindet sich eine weitere Prager Ikone: das Nationalcafé (Národní kavárna). Es hat eine interessante Entwicklung seiner Identität durchlaufen. 1896 wurde es als Café Imperial gegründet und war wirklich imperial. An der Wand hing das Bild des Monarchen, und die k. & k. Offiziere kamen zum Billardspielen hierher, während Antonín Dvořák, der berühmteste tschechische Komponist, in der Ecke aufmerksam in der Zeitung las. Nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde das Café Imperial zum Nationalcafé, die österreichischen Offiziere wurden durch tschechische Künstler ersetzt, und wenn es hier etwas gab, das nicht befolgt wurde, dann war es die österreichisch-ungarische und damit Wiener Kaffeehaustradition. Hier trafen sich der linke Kunstverein Devětsil und avantgardistische Architekten.

Und ebenso wie das Café Louvre überlebte auch das Nationalcafé nicht den kommunistischen Putsch 1948 und wurde, wie das Café Louvre, erst nach 1989 zu neuem Leben erweckt. Heute stehen hier Bugholzstühle um runde Marmortische und von der Decke hängen Kristalllüster mit Posamenten. Wiener Kaffee und österreichischer Grüner Veltliner gehören selbstredend zum Angebot. Nach Jahren des nationalen, sozialen und klassenmäßigen Widerstands ist die Wiener Kultiviertheit in das Nationalcafé zurückgekehrt.

Ganz am Ende der Straße, mit Eingang von der Nationalallee aus und Blick auf die Moldau, über der sich das ikonische Panorama der Prager Burg erhebt, befindet sich das Kaffeehaus Slavia. Es wurde 1882 eröffnet und ist das älteste Kaffeehaus in der Nationalallee, der Achse, um die sich der Planet der Prager Kaffeehauskultur dreht. Es ist und war schon immer ein Ort, an dem man namhafte tschechische Schauspieler treffen konnte, die vom gegenüberliegenden Nationaltheater hierher kamen, aber auch Schriftsteller, Künstler oder Architekten.

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, dem Nationalcafé und dem Café Louvre, wurde es 1948 nach dem kommunistischen Umsturz allerdings nicht geschlossen, sondern als verstaatlichtes Unternehmen in den grauen Jahren des Totalitarismus weiter betrieben und konnte somit Persönlichkeiten wie Gabriel García Márquez oder Miloš Forman empfangen. Paradoxerweise trafen sich gerade in diesem Schaufenster des verstaatlichten Cafés nach der Besetzung der Tschechoslowakei im Jahr 1968 regimekritische Intellektuelle wie Václav Havel, Josef Škvorecký, Bohumil Hrabal und andere. Heute ist es wieder ein vornehmes Kaffeehaus mit runden Tischen und Bugholzstühlen, auf dessen roten Teppichen sich diskrete Kellner und Kellnerinnen lautlos bewegen. Das Slavia verbreitet somit nicht nur den Ruhm der tschechischen künstlerischen und intellektuellen Repräsentation aus drei Jahrhunderten, sondern auch das Vermächtnis der Wiener Kaffeehauskultur.

Prag wartet selbstredend mit weiteren Cafés ähnlichen Formats auf, wie dem Café im Gemeindehaus, dem Café Imperial oder dem Grand Café Orient. Auch hier wird man in eine Welt zurückversetzt, nach der man in der Hektik und Sachlichkeit von heute manchmal ein wenig Heimweh verspürt.

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